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LARP-Theorie 9: Resilienzförderung im Rahmen von Liverollenspielveranstaltungen

Von unserem Vereinsmitglied Kai stammt dieser tolle Beitrag zu einem Meta-Thema des LARPs. Viel Vergnügen damit!

Kernaspekte der persönlichen Selbstdefinition
Folgende Grundannahmen zeichnen nach Ronnie Janoff-Bulman bei sehr vielen Menschen die Kernelemente der persönlichen Selbstdefinition aus [1]:

• Die Welt hat Bedeutung / macht (für mich) Sinn.
• Die Welt ist wohlwollend.
• Das eigene Selbst ist wertvoll.

Jede dieser Grundannahme berührt verschiedene Aspekte der individuellen Persönlichkeit und beeinflusst zudem auch die anderen Grundannahmen mit.
So beinhaltet der Aspekt „Die Welt hat Bedeutung / macht Sinn“ unter anderem auch die eigene Handlungsfähigkeit (Selbstwirksamkeit), während „Das eigene Selbst ist wertvoll“ in vielen Fällen als Grundbezug für den Umgang mit sich selber und anderen Menschen dient. Ist in diesem Kontext die „Welt wohlwollend“, so ergibt sich eine weniger verbissene Handlungsweise als in einer Welt, der alles aktiv abgerungen werden muss.

Infragestellen der Grundannahmen
Werden eine oder mehrere der Grundannahmen bei einem Individuum in Frage gestellt, so wird dies als destabilisierend und damit bedrohlich für das eigene Selbst wahrgenommen [1]. Um diesen Zustand von Unsicherheit zu bewältigen, handelt das Individuum mit dem Ziel, Schaden vom eigenen Selbst abzuwenden.
Im sozialen Kontext kann dies bei einer persönlichen Beleidigung zum Beispiel eine adäquate Antwort sein.
Die Individuellen Grundannahmen werden im Laufe des Lebens durch Einflüsse von Außen aber auch Prozesse innerhalb der eigenen Person häufig in Frage gestellt. Die daraus resultierenden Handlungen führen unter anderem zur Ausbildung von persönlichen (mehr oder minder erfolgreichen) Bewältigungsstrategien (Coping) [2], sowie zu Anpassungsleistungen an eine nicht oder nur schwer zu verändernde Lage.

Schädigung der Grundannahmen
Werden eine oder mehrere Grundannahmen durch empfundener maßen lebensbedrohende Ereignisse so stark geschädigt, dass keine unmittelbare Stabilisierung durch das betroffene Individuum selbstständig durchgeführt werden kann, liegt eine unter psychologischen Gesichtspunkten gesehene traumatische Situation vor, welche die individuelle Handlungsfähigkeit im Kontext der Schädigung einschränkt [1,3].
Derartige traumatische Ereignisse [3] bewusst und unbewusst aktiv zu bearbeiten erfordert Zeit und Ressourcen sowie gegebenenfalls Hilfe, mit der sich das Vertrauen in sich und die Welt wieder zurückgewinnen lässt.

Gesellschaftlich übliche Reaktionen
Es ist zu beobachten, dass gesellschaftlich weit verbreitete Reaktionen auf psychische Traumata aus Stigmatisierung, Verleugnung oder kommerzieller Nutzung bestehen.
Dieses Verhalten kann mit der Theorie des Sozialen Vergleichs nach Leon Festinger [4] sowie den Überlegungen zur Sozialstruktur nach Ferdinand Tönnies [5] erklärt werden, stellt für die Betroffenen jedoch kein hilfreiches Vorbild dar.
Zusätzlich erschwerend ist, dass sich Betroffene auch im eigenen sozialen Umfeld den Raum und die Möglichkeiten zur Bewältigung von traumatischen Ereignissen häufig aktiv Erstreiten müssen – ein Aspekt der auch in der Jugendkultur einen herausragenden Stellenwert einnimmt. Inhaltlich basieren derartige Widerstände auf zwei Mechanismen:
• Ranking, bei dem der Betroffene nicht abgewertet werden möchte;
• der Schuldfrage.
Welcher Betroffene ist von sich aus bereit, zuzugeben, durch ein psychisches Trauma beschädigt zu sein? In der durch Wettkampf- und Vergleichsgedanken geprägten neoliberalen Leitkultur der BRD sowie Jugendkultur führt eine solche „Opferbrandmarkung“ unweigerlich zu einer Abwertung – und somit zu einer weiteren Schädigung der Grundannahme, dass die Welt gut ist / gut sein kann.
Die Schuldfrage ist unmittelbar mit der Verantwortlichkeit für das Eigene Handeln verknüpft. Welche Person ist in einem derartigen sozialen Kontext bereit, das Risiko auf sich zu nehmen, als potentieller Täter / Traumaverursacher dazustehen? Dies könnte sehr schnell geschehen, wenn ein Zusammenhang zwischen der Beschädigung einer Grundannahme und dem persönlichen Handeln hergestellt werden kann. Da Abwertungen in abwärts gerichteten sozialen Vergleichsprozessen, die das Ziel von Selbstwertschutz und Selbstwerterhöhung in sich tragen, ein wichtiges Element darstellen [4,6], lässt sich Schlussfolgern, dass derartige Sozialvergleiche zum Beispiel in Form von Mobbing [2] traumatisierende Züge aufweisen können.

Resilienz

In der Traumapsychologie beschreibt der Begriff Resilienz „die Fähigkeit einer Person oder eines Systems, erfolgreich mit Belastungen durch Stress oder schwierige Lebensumstände umzugehen.“[6]. Die daraus resultierenden „protektiven Faktoren“ [2] umfassen nicht nur rein präventives Handeln sondern beinhalten auch nachsorgende Elemente, welche dazu beitragen, dass Schäden an den Kernelementen der persönlichen Selbstdefinition bewältigt werden können [1].
Um die Resilienz von Individuen inhaltlich durch Unterstützungsmaßnahmen zu stärken [7], reicht es nicht aus, exklusiv die Kompetenz zum präventiven Handeln oder ausschließlich den nachsorgenden Umgang anzusprechen. Rein präventives Handeln kann traumatische Erlebnisse nicht kategorisch ausschließen (bestehendes Restrisiko). Zudem schränkt eine schränkt eine Überfokussierung auf Prävention die individuellen Handlungsmöglichkeiten einer Person stark ein und schädigt durch das stete Antizipieren negativer Ereigniseintritte (Generalverdacht [8]) unter Umständen die Annahme, dass die Welt wohlwollend ist.
Rein nachsorgende Maßnahmen zu fördern, ohne auf Prävention und Maßnahmen zur unmittelbaren Situationsbewältigung einzugehen, trägt eher zu einer Schwächung denn zu einer Stärkung der Selbstwirksamkeit bei – was dem Grundgedanken von Resilienz abträglich ist [7].
Resilienzfördernde Aspekte, wie sie zum Beispiel im überschaubaren Rahmen einer Liverollenspielveranstaltung geübt und gefördert werden können, sollten daher die Elemente
• Selbstwirksamkeitsstärkung
• Selbstreflektionsförderung
• Ruhephase
• einen nachvollziehbaren Kontext
und adäquate Herausforderung bieten.

Literaturverzeichnis
[1] Ronnie Janoff-Bulman: Shattered Assumptions – Towards a New Psychology of Trauma, Free Press, 1992
[2] M. Zaudig, R.D. Trautmann (Hrsg): Therapielexikon Psychatrie, Psychosomatik, Psychotherapie, Springer 2006
[3] F.Lasogga, B. Gasch (Hrsg.): Notfallpsychologie. Lehrbuch für die Praxis, Springer, 2. Auflage 2011
[4] Wieser, D. (03. Juni ’07): Festinger, Leon: Eine Theorie Sozialer Vergleichsprozesse http://www.social-psychology.de/sp/notizen/festinger-vergleich zuletzt abgerufen am 07.02.2012 um 4.52 Uhr
[5] K. Lichtblau (Hrsg.): Klassiker der Sozialwissenschaften: Ferdinand Tönnies: Studien zur Gemeinschaft und zur Gesellschaft, Springer, 2012
[6] Vorlesungsunterlagen Sozialpsychologie: Die Theorie sozialer Vergleichsprozesse (Festinger 1954) http://www.uni-bielefeld.de/ikg/zick/SozialerVergleich.pdf Zuletzt abgerufen am 07.02. um 6.43 Uhr
[7] U. Siegrist: Der Resilienzprozess, VS Verlag 2010
[8] Duden.de: Generalverdacht http://www.duden.de/rechtschreibung/Generalverdacht Zuletzt abgerufen am 07.02. um 6.59Uhr