Publikation

LARP-Theorie 3: Charaktertod

von Sonja Catterfeld und Marius Munz

Zu den umstrittensten Themen auf LARPs zählt der Tod des geliebten Charakters. Der Charaktertod kann auf verschiedene Weisen eintreten: Der Charakter verblutet, wird tödlich vergiftet oder verzaubert/-flucht oder aber ein „Todesstoß“ wird gesetzt, wahlweise während/ in Anschluss an einem Kampf oder bei einem Meuchelangriff. Spieler reagieren sehr unterschiedlich auf den Tod des eigenen Charakters. Manche sind traurig, andere verärgert und wieder andere ignorieren einfach den Tod. Auf vielen Veranstaltungen herrscht seit Jahren schon die Regel, dass der Charaktertod im Ermessensspielraum des Spielers liegt. D.h. der Spieler entscheidet einfach selbst, ob der Tod für seinen Charakter akzeptabel ist. Auf manchen kampflastigen Grossveranstaltungen wie dem Drachenfest ist eine routinierte Serien-„Wiederaufstehung“ Usus.

Ich möchte im Folgenden die Argumente für und gegen das Sterben von Charakteren erörtern und danach eine mögliche Lösung des Problems zeigen.

Pro

Die Möglichkeit eines Charakters auf einem LARP zu „sterben“ bietet einige Vorteile. Die Möglichkeit zu verbluten oder in einer Falle zu sterben, macht das Spiel in vielen Bereichen deutlich spannender. Wenn man weiß, dass man im Prinzip immer davon kommt, fehlt einfach das Adrenalin in wirklich gefährlichen Situationen. Das Gefühl der Erleichterung es überlebt zu haben bleibt weg.

Des Weiteren werden viele Fertigkeiten überflüssig. Wofür sollte man sich „Regeneration“ kaufen, wenn man nicht verbluten kann? Macht „Meucheln“ überhaupt Sinn, wenn der Getötete für sich entscheiden kann, dass er in wenigen Minuten nach einem „Körper heilen“ wieder steht? Auch sind Lähmungsgifte wesentlich effektiver als Todesgifte, wenn der Tod nicht eintreten kann.

Der Charaktertod bietet auch die Möglichkeit für schönes Spiel. Die Niederlage selbst, die Bestattung oder eine etwaige Wiederbelebung können faszinierende Spielszenen sein und das Spiel insgesamt bereichern oder sogar neue Plots ermöglichen. Auch eine Begegnung mit dem personifizierten Tod ist eine mögliche Szene und sicher ein spannendes Erlebnis.

Gerade „harte“ Gesamtszenarien wie eine fiktive Postapokalypse/ Endzeit, Horrorsettings oder eine sonst wie besonders düstere Welt profitieren davon, wenn die Bösen (=Gegner und auch andere Charaktere) tatsächlich so konsequent sind Widersacher final aus dem Weg zu schaffen.

Contra

Der wichtigste Punkt, der gegen den Charaktertod spricht, ist der immense Kosten- und Arbeitsaufwand, der durchschnittlich in einen Charakter investiert wird. Von der spezifischen Kleidung über Rüstung, Waffen und Utensilien: Ein Charakter kann teuer werden. Tritt dann der Charaktertod ein, können manche Gewandungsteile nicht mehr verwendet werden. Und da gerade junge Charaktere schneller sterben können, könnte es passieren, dass Anfänger oder neue Charaktere sehr schnell immer wieder neue Charaktere entwerfen und ausstatten müssten.

Auch ist ein langjährig gespielter Charakter möglicherweise „genau richtig“ von der Konzeptionierung her, eben genau das, was man gerne spielen möchte und sich wohl damit fühlt. Der Charakter ist vertraut in Erscheinung, Verhalten und IT-Sozialstrukturen und liefert damit Entspannung und Kontinuität.

Ein neu zu entwerfender Charakter sollte sich jedoch – so das häufig halblaut geäußerte Credo – signifikant abgrenzen. Allein schon um den vermeintlichen Beweis anzutreten, dass die OT/ IT- Trennung funktioniert. Doch wie eine weitere Rolle entwerfen, die für einen ebenso angenehm respektive spielbar ist?

Ein weiterer oft genannter Aspekt ist der leichtsinnige, wenig heldenhafte Tod. Z.B. der Großmeister, der gerade zu den Toiletten geht, um sich die Kontaktlinsen einzusetzen und in keiner Weise spielfähig ist. Zwei Räuber kommen vorbei und meucheln ihn. Ist das ein heldenhafter Tod? Oder in irgendeiner Weise angemessen?

Und inwieweit mindert das (angekündigte) Risiko des Charaktertods eventuell Spiel- und Abenteuerlust des Spielers? Alleine in den Wald zu gehen wird häufig als Dummheit tituliert, doch andererseits beklagen sich viele Organisatoren, dass sich Spieler ihrer Meinung nach zu wenig aus dem Lager bewegen und wenn, dann nur in sehr großen Gruppen. Beide Handlungsweisen behindern gerade Abenteuercons mit viel vorinstallierten Plotteilen im Wald stark im Plotfluss.

Auch der Spielspass eines tödlich vergifteten Charakters, dessen Spieler nun (am besten auf einer 3-Tages-Veranstaltung) stundenlang auf eine Rettung warten und hoffen musst, hält sich eher im Rahmen. 

Welche sinnvollen Regelungen sind also denkbar?

Marius: Ich bin der Meinung, dass die Möglichkeit bestehen sollte, dass der Charakter stirbt. Es bietet mehr Spielmöglichkeiten und mehr Spannung. Um die Gefahren des Verblutens oder des endgültigen Todes zu mindern ist es sinnvoll entsprechende Regelmechanismen zu etablieren. Dazu gehören die Möglichkeit der „Regeneration“ und Zauber oder Rituale wie „Wiederbelebung“. Des Weiteren könnte man die Phase bis jemand verblutet einfach ausweiten auf z.B. 30 min. oder mehr. Ein sofortiger Tod wäre demnach nur infolge eines Meuchelanschlags, eines Todesgifts oder eines Todeszaubers möglich.

Mir gefällt auch die Idee, dass wenn der Spieler z.B. entscheidet, sein Charakter schützt den Rückzug seiner Gruppe und stirbt dabei, dass der Charakter dann mehr Treffer aushält und somit seiner Rolle als Held auch gerecht werden kann.

Auf jeden Fall sollte man im Vorfeld der Veranstaltung die entsprechende Regelung bekannt geben und jedem Spieler empfehlen, eine Zweitgewandung mitzunehmen.

Sonja: Bei einem „normalen Fantasy-Con“ widerstreben mir generell Szenen, bei denen ein Charakter irgendwo einfach allein und unbeachtet stirbt, sei es nun nach der unliebsamen Begegnung mit einem Meuchler oder einem gewaltsamen Zusammenstoß mit Räubern/ Orks/… und dem anschließenden Verbluten.  Dies ist trägt nicht zu einem schöneren Spiel, sondern nur zu individueller Kränkung und Ärger bei. Ich sehe hier die Verantwortung beim Veranstalter für Strukturen zu sorgen, in denen der Tod – ob nun final oder mit Wiederbelebung – eine passende Aufmerksamkeit erfährt. 

Dazu wäre es generell sinnvoll Szenen/ Möglichkeiten vorzubereiten für Interventionen von Göttern, Geistern, dem Tod persönlich usw., auch für „Todes-Alternativen“ falls beispielsweise die NSC-Gruppen eher eine Person verschleppen würden, so dass auch hierbei ein Spieler weiter spielen kann und nicht nur gelangweilt auf seine Errettung warten muss. Hier kommt entscheidet wieder die IT-Motivation der NSCs:

Einfach Räuber haben sicher kein Interesse an mehr Ärger als nötig lassen den Ausgeraubten wahrscheinlich einfach bewusstlos liegen. Kulturschaffende Völker halten vielleicht Sklaven, würden die Person demnach mitnehmen und auf ihren Wert beim Putzen, Kochen, Ausrüstung flicken usw. testen oder mit den SCs über Lösegeld verhandeln. Untote halten sich mit Bewusstlosen nicht auf. Sektierer hingegen bereiten ein Opfer entsprechend vor: Zunächst stilvoll einsperren (mit einem Schloss, was sich knacken lässt!), danach speziell einkleiden, Gebete sprechen usw. derweil bekommen die SCs zarte Hinweise, dass einer der Ihren in Gefahr schwebt. Allein fleischfressende Monster müssten sofort zur Gefahr werden, doch solchen NSC-Gruppen könnte man ja jeweils einen Schutzgeist o.ä. zuteilen, welcher dann rettend eingreift. 

Abgesehen davon fände ich das Folgende zielführend:

  • Anweisung an NSC-Gruppen die SL über verletzte/ tote SCs sofort zu informieren, falls diese nicht sowieso anwesend ist.
  • Mächtige NSC-Rollen mit Todesflüchen nur mit spielstarken Personen besetzen, die ein gutes Gefühl für den passenden, wirksamen Moment haben.
  • Bei der Verwendung von Todesgiften Beschäftigungen auch für die Vergiftete vorbereiten. Warum nicht mal einige Nahtod-Halluzinationen, Visionen, usw. für und mit einem SC ausspielen?
  • Wenn Todesstöße z.B. nach Schlachten gesetzt werden sollen oder Meuchler unterwegs sein werden, ist dies unbedingt im Vorfeld, also schon vor und bei der Anmeldung zu kommunizieren!  Auch sollten beide Personengruppen eine sinnvolle und vor allem klar erkennbare Motivation dazu haben.
  • Verlängerte Zeiträume bis zum finalen Verbluten.

Inwieweit der Spieler seinen „gestorbenen“ Charakter auf weiteren Veranstaltungen doch wieder spielt, entzieht sich ja sowieso externen Zugriff, doch so hätte er zumindest das Ereignis als etwas Besonderes erlebt.