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LARP-Theorie 10: Live-Rollenspiel aus dem Blickwinkel eines Geschichtslehrers

von Dr. Marius Munz

Das klassische Fantasy-LARP spielt in einer fantastischen pseudo-Mittelalterwelt. Da könnte man auf den Gedanken kommen, dass LARPer dabei etwas über Geschichte lernen. Über das Mittelalter oder die Renaissance genauer genommen. Doch findet das wirklich statt? Auf einem LARP selbst wohl eher nicht. Hier spielen Spielspaß, Abenteuer und sozialer Kontakt eine deutlich übergeordnete Rolle und ob man hierbei aktiv etwas über Geschichte lernen will ist fraglich.

Aber LARP ist ein Hobby, das nicht nur auf den Veranstaltungen stattfindet, sondern viele Stunden der Vorbereitung bedarf: Charakterwahl und vor allem die Ausstattung nehmen einen großen Raum ein. Und hier findet freiwillige und aktive Auseinandersetzung mit Geschichte statt!

Es zeigt sich immer wieder in Gesprächen und Foren, welchen Aufwand viele Spieler betreiben, wenn sie über ihre Gewandung recherchieren. Es werden Bilder aus mittelalterlichen Abbildungen studiert, einschlägige Literatur über Kleidung und Alltag im Mittelalter rezipiert und über eine Umsetzung dessen diskutiert. Am Ende steht zwar selten eine vollständige wissenschaftliche Rekonstruktion und von einer fachlich fundierte Quellenkritik möchte ich an dieser Stelle auch nicht sprechen, aber im Sinne des Ziels des Geschichtsunterrichts findet hier etwas statt, von dem man als Pädagoge nur träumen kann. Die ganzheitliche und vor allem freiwillige und zielführende Auseinandersetzung mit dem historischen Thema kann zu ausgeprägten Kompetenzen in dieser Epoche der Geschichte führen.

Lösen wir uns von dem Blick auf die fachlichen Kompetenzen und schauen auf weitere Lernfelder des LARP. Der Geschichtsunterricht soll nicht nur Geschichtswissen und Geschichtsbewusstsein schaffen, sondern im stärkeren Maße Alteritätserfahrung, Fremdverstehen und interkulturelles Lernen ermöglichen, sowie Multiperspektivität und Kontroversität vermitteln. Dies sind die Disziplinen in denen LARP den Rahmen geben kann genau dies immer wieder einzuüben und zu verstärken.

Als Rollenspieler ist man es gewöhnt eine Rolle zu spielen. Man sucht sich eine Rolle meist selbständig aus und verkörpert sie mit Gewandung über mehrere Stunden oder Tage. Zwar sind diese Rollen meist etwas übertrieben oder auch einseitig, aber im Sinne des Einübens von Multiperspektivität und Fremdverstehens absolut ausreichend. Da wie in der realen Gesellschaft im jeweiligen LARP-Setting soziale Hierarchien existieren oder ausgehandelt werden müssen, kommt der Charakterwahl eine wichtige Bedeutung zu. Spielt man einen Charakter am Rande der Gesellschaft? Einen Ork oder Bettler? Oder ist man Adliger, Priester oder Magier? Da Spieler häufig ihre Charaktere wechseln, lernen sie andere Blickwinkel einzunehmen und spielerisch auch nicht geteilte Ansichten zu vertreten.

Gleiches gilt für die Auseinandersetzungen im Spiel. Diskussionen sind an der Tagesordnung, gegensätzliche Vorstellungen und Ziele müssen ausgehalten oder Konflikte gelöst werden. Teilweise müssen sogar kulturelle Grenzen überschritten werden oder es finden letztlich Akkulturationsprozesse im Spiel statt.

Hier wird deutlich, welches Potenzial im LARP steckt, um die Kompetenzen in den genannten Bereichen zu verstärken und auszubilden. Dabei muss dies nicht einmal pädagogisch reflektiert werden – obwohl dies ab und zu wünschenswert wäre – sofern diese Kompetenzen in der Schulzeit oder an anderen Orten bereits vermittelt wurden. Der Wert des LARP besteht schon alleine in der Wiederholung und Einüben dieser Kompetenzen.

Nimmt man den Geschichtsunterricht als Beispiel, zeigt sich, dass Live-Rollenspiel die Kompetenzen und Lernziele unterstützt, die im Geschichtsunterricht angestrebt und angelegt werden.

Literaturhinweise:
Michael Sauer: Geschichte unterrichten. Eine Einführung in die Didaktik und Methodik, Seelze 2013.